Sonntag, 31. Mai 2009

Too small - 太小 - Dimensions II

Als ich nach den ersten sechs Monaten Mainland China in Hongkong zum ersten Mal eine Buchhandlung betreten habe, habe ich auf einmal bemerkt, wie mir das gefehlt hat. Dieses Gefühl, sich frei informieren zu können, sich wenn man wollte, jedes Buch der Welt einfach bestellen zu können. Oder auch einfach sich in einer ästhetisch ansprechenden Buchhandlung durch schöne Editionen durchzuschmökern, den Duft der weiten Welt einzuatmen. Hier sehen die Buchhandlungen eher grau aus, die Mehrheit der Bücher schlecht gebundene Paperbacks. Meist muss man froh sein, wenn die Bücher nicht schon vor dem Kauf beschädigt sind. Und man muss staunen, dass es überhaupt interessante Bücher gibt.
Mein "Zensurtestbuch", welches ich damals extra in unser Hausratsgepäck eingepackt hatte, um zu sehen, ob es wirklich so schlimm ist mit der Zensur, ist tatsächlich nie angekommen. "Confucianism and Human Rights" war offensichtlich schon zu anrüchig als Titel, obwohl es nichts Subversives enthält, von einem chinesischen Harvardprofessor (Tu Weiming) geschrieben wurde und eher versucht, das andere chinesische Verhältnis zu den Menschenrechten der Chinesen zu erklären. Schade, denn ich bin noch nicht dazu gekommen, es zu lesen.
Auch die vorliegende Blogseite kann in China keiner lesen, da wahrscheinlich die gesamten Blogger.com Seiten von Google gesperrt wurden. Somit kann ich auch nur mit den nötigen technischen Tricks weiterschreiben.
Vor sechs Jahren habe ich in meinen eMails aus Dalian überzeugt verkündet, dass China entgegen alle westlichen Forderungen, ohne das jetztige totalitäre System keine Chance hätte, dass die Regierung schon weiss, was sie tut und dass es notwendig ist, um überhaupt vorwärts zu kommen. Ganz von dieser Meinung abgekommen bin ich immer noch nicht, aber es bohren sich immer mehr Zweifel und Fragezeichen in diese Überzeugung.
Es ist schon wahr, dass eben immer noch ein ganz grosser Teil der Bevölkerung aus Armen besteht, welchen man wirklich erst "Brot und Spiele " (Reis und Karaoke?) geben muss, damit sie zufrieden sind. Aber es gibt doch auch einen gewissen und langsam aber stetig wachsenden Bevölkerungsanteil, welcher schon zu mehr fähig wäre, welchen man aber in diesem Einheitsreisbrei ersticken lässt. Über Wirtschaftliche Aspirationen lässt man sie kaum hinausgehen. Und ausser wenn jemand wirklich, wirklich etwas Anderes will, lässt der Grossteil der Chinesen es sich auch gefallen.
Die kleinen, privaten, kreativen Initiativen werden im Keim erstickt. Durch dieses eine Partei-, ein Nationalstaat-, eine Sprache-, ein Volk-, eine Aufstiegsnationgedröhn, aber durchaus auch durch die Kultur selbst, welche mit solchen Phänomenen eigentlich nicht so richtig etwas anzufangen weiss. Welcher Einfluss stärker unterdrückend wirkt, ist für mich immer noch schwer zu beurteilen. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht, dass es im Chinesischen für das Wort "Phantasie" keine wirklich entsprechende Übersetzung gibt. Der Ausdruck "想象 = xiang xiang" drückt lediglich so etwas wie die Abstraktion, das denkende Übertragen ins Symbolische aus. Immerhin habe ich letzthin auf einer Werbung auch das Wort "创想 = chuang xiang" gesehen, welches ich nicht einmal im Wörterbuch gefunden habe, was aber wohl soviel wie "Neues erdenken" bedeutet. Wie gesagt, immerhin ein kleiner Keim, auch wenn es sich dabei um eine Werbung für Outdoor Material gehandelt hat. Wobei diese Art von Outdoor Gedanken an sich schon etwas total Neues ist hier.
Während fast jeden Europäer regelmässig so eine Art Klaustrophobie befällt, wenn man bei jedem Versuch, am Wochenende etwas freie Natur zu finden, kläglich versagt, und immer wieder auf mehrere tausend Spaziergänger trifft scheinen die Chinesen doch eher dieses soziale, laute Zusammensein in der Natur zu suchen, als eben die stille Erholung alleine. Um die Estates gibt es meistens Mauern, so dass man in die umliegenden Hügel und kleinen Wäldchen, falls es überhaupt welche gibt, meist gar nicht kommt (immerhin erübrigen sich bisher noch die Kalaschnikow bewaffneten Scharfschützen zur Bewachung). Um jede Stadt, um jedes Dorf herum gibt's zuerst mal kilometerweise Felder, durchbrochen mit Abfallhalden. Als einziges Refugium zum Spazierengehen eben die überfüllten Parks.
Hier fehlt ganz einfach auch der Platz für Menschenrechte und Individualismus nach westlicher Vorstellung. Das ist wohl auch der Grund, weshalb der Konfuzianismus die soziale Harmonie als oberstes Prinzip setzt, wieso der Buddhismus die Freiheit in der Introspektion sucht und wohl auch wieso Deng Xiaoping damals 1989 erklärt hat, dass das Leben einiger verzweifelter idealistischer Studenten nicht die Stabilität und die Hoffnung auf materielles Wohl des ganzen Landes aufwiegen kann.
Die obengenannte Parole 创想 ist nämlich momentan damit verbunden, dass die, die sich's leisten können mit modernen Outfits und SUWs in die verlasseneren Provinzen des Landes fahren und dort ihren Individualismus ausleben. In der chinesischen Alltagsumgebung ist das schlicht unmöglich. Mit solchen Abenteuern haben nicht zuletzt die Westler angefangen. Vereinzelte Globetrotter. Ob das aber immer noch den westlichen Vorstellungen von Entdeckungsgeist und Nachhaltigkeit entspricht, wenn tausende dem Ruf folgen, ist eher fraglich. Und schon landet man wieder dabei, wie weit wir mit unseren europäischen Gehirnen überhaupt beurteilen und anprangern können, was hier geschieht. Vielleicht entgegnet die chinesische Regierung eben gerade diesem westlichen Unvermögen, die asiatischen Dimensionen zu verstehen und verstehen zu wollen immer wieder mit der Parole "das ist eine Innerchinesische Angelegenheit". Wenn sich dann im Innern Chinas doch einige vom westlichen Freiheitsgedanken früher als opportun anstecken lassen, müssen sie in ebendiesen verlassenen Provinzen unter weitaus weniger angenehmen Bedingungen dafür büssen.
Und doch darf man sich heute schon weitaus mehr anstecken lassen als noch vor 10 Jahren. Es gibt auch in NGOs, welche (zwar nach mehr oder weniger langen Marathonläufen der Bürokratie) von der Regierung anerkannt werden und welche sogar immer mehr auch von der Regierung unterstützt werden, wenn letztere sich nicht in der Lage sieht, gewisse Lagen selbst zu meistern. Zum Beispiel war die Erdbebenkatastrophe in Sichuan der Ausgangspunkt von vielen erfolgreichen Privatinitiativen. NGOs, welche sich an der ersten Katastrophenhilfe beteiligt haben, welche aber auch im nächsten Schritt durch "grassroot communities" den Wiederaufbau in vielen Dörfern erst möglich gemacht haben und machen. Wahrscheinlich müssen solche Modelle zuerst vorsichtig erprobt werden, bevor sie sich langsam im gesamten Gesellschaftsmodell ihren Platz suchen. Damit eben der chinesische Weg möglich wird und nicht nur das rebellische Ausbrechen mit schnellen Autos aus zu engen, überbevölkerten Strukturen. Mit den Konsequenzen, wenn Menschen mit zuviel Individualismus und Möglichkeiten nicht zurecht kommen kämpfen wir schliesslich auch im Westen. Aber im Westen sind es eben auch Individuen und Gruppen, welche von freien Möglichkeiten Gebrauch zu machen wissen, welche die Gesellschaft immer wieder vorwärts bringen. Dieses Gleichgewicht muss China für sich erst finden.

2 Kommentare:

Unknown hat gesagt…

Liebe Daniela

freut mich echt dass es weitergeht, habe deine Ansichten und Einsichten echt vermisst...

LG aus dem Wallis

Heri

Anonym hat gesagt…

Berichte über 1 Jahr von 09.08 bis 05.09
Liebe Daniela, jetzt hatte ich endlich mal Zeit. 5h gelesen und gelesen! Ich bin begeistert und beeindruckt (auch weil ich ja mit 4 Monaten beruflicher China - Erfahrung aus den Jahren 1997-98 hie und da die damaligen Probleme wieder neu sehe) und ich hoffe du bist einverstanden wenn ich deine Berichte Freunden weitergebe. Beste Grüße Gerd
- 22.07.2009