Aus aktuellem Anlass zum neuen Jahr, einige Gedanken zum Thema "Einstellung zum Leben und den Dingen allgemein".
Ich kann mich noch gut erinnern welcher Schock es war, als ich 1996 nach neun Monaten Asienreise auf der Heimfahrt durch Sibirien wieder die erste christliche Kirche besucht habe. Der leidende Christus am Kreuz war solch ein gewaltiger Kontrast zu den ewig lächelnden, strahlenden, goldenen Buddhastatuen hier in Asien. An diesen Schock denke ich auch heute noch bei jeder unserer Tempelbesichtigungen. Und so ähnlich sieht auch der Kontrast beim Beobachten der Leute auf der Strasse aus.
Die Chinesen scheinen eine fast durchwegs positive Einstellung zum Leben zu haben. Viele Europäer wollen gerade deshalb nicht mehr zurück, weil sie das ewige Nörgeln und Klagen zu Hause nicht mehr ertragen. Obwohl die meisten Chinesen immer noch unter eher schwierigen Bedingungen leben, vergeht den Leuten das Lächeln fast nie. Gerade die Armen lächeln und grüssen so unbefangen und fröhlich, dass man schon fast ein schlechtes Gewissen habe könnte (wenn man sich nicht eben vorgenommen hätte, die Welt auch etwas sorgloser zu sehen). Und vor allem die Älteren, welche fast alle für uns Unvorstellbares hinter sich haben, erzählen mit einer erstaunlichen Leichtigkeit von ihrem Leben. Kaum einer beklagt sich. Man nimmt das Leben wie es kommt und schaut zuversichtlich in die Zukunft.
Die Kehrseite der Münze ist dann halt eben wohl doch die Rückständigkeit. So wird kaum etwas wirklich hinterfragt oder gar unaufgefordert, innovativ verbessert. "No problem, we can do it!", auch wenn sie keine Ahnung haben. "No problem, we can do it again!", wenn man ihnen Ware zurückbringt, wo eben die Arbeit in dieser Inkompetenz schlecht ausgeführt wurde. "It's running smoothly", auch wenn sich hinter jeder Detailfrage die Abgründe auftun. Auch der chinesische Ausdruck "差不多= cha bu duo = more or less", der soviel heisst wie "das ist schon ok" wird viel gebraucht.
Die positive Einstellung, die in europäischen Firmen in manchem Workshop mit externen Coaches mühsam erarbeitet wird, ist immer präsent, der eigene Antrieb zur Veränderung fehlt aber meist. Oft wird einfach konstatiert, dass etwas nicht funktioniert und dann eben ohne dieses Teil weitergemacht, auch wenn es dann eben nicht ganz so smoothly geht. In besseren Fällen werden "Sofortmassnahmen" ergriffen. D.h. einer greift zum Telephon, ein anderer (oder meist mehrere) kommt und improvisiert etwas zurecht, was dem Übel gleich Abhilfe schaffen sollte. Zum Nachdenken über eine dauerhaftere Lösung kommt es meist nur nach Aufforderung durch einen Westler oder zumindest einen chinesischen Chef, der die Fähigkeit besitzt, etwas weiter denken zu können (meist auch im Westen antrainiert). Manches mag eine leidliche Folge des kommunistischen Systems sein, anderes aber ist wohl doch eher der chinesischen Seele zuzuschreiben. Auf jeden Fall aber ist es kein Laissez-aller des weltlichen, weil ja nur das Jenseits zählt. Die Chinesen haben allgemein eine sehr pragmatische Einstellung zum Leben. Es ist wohl eher als eine Art Grosszügigkeit der menschlichen Unvollkommenheit gegenüber zu werten.
Wie immer hat das mehrere Aspekte. Was uns bei der Arbeit vielleicht oft unprofessionell vorkommt, kann im "normalen" Leben auch angenehm sein, wenn nicht jeder sich gleich aufregt, oder einen belehren muss, wen man mal was falsch gemacht hat. Hinter letzterem verbirgt sich aber noch eine andere asiatische Eigenheit, die des "Gesichtsbewahrens". Damit eben alles smoothly läuft und jeder lächeln kann und alle harmonisch zusammenleben können, tut man alles, um jemanden nicht öffentlich zu blamieren. Manchmal dann eben auch einen, der mal nebenbei ein paar Tonnen Melamin ins Milchpulver schüttet. Aber das übersteigt schon wieder das heutige Thema...
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